Tagtäglich klagen Pendler über Verspätungen und Ausfälle. Trotz vieler Anstrengungen gibt es keine Verbesserungen. In fünf Jahren könnte sich das ändern.

Von Dirk Meyer

Der Verkehrsausschuss des Verbands Region Stuttgart hat sich heute einstimmig für ein umfassendes Maßnahmenpaket für mehr und zuverlässigeren S-Bahn-Verkehr im Schienenknoten Stuttgarts positioniert. Er befürwortet die Einführung des europaweit standardisierten Zugbeeinflussungssytems ETCS (European Train Control System) Level 2 in Verbindung mit digitaler Stellwerkstechnik (DSTW) und einer Teilautomatisierung des Betriebs Ende 2025 als bundesweites Pilotprojekt. Diese Technik ermöglicht mehr Pünktlichkeit der S-Bahnen, birgt aber auch Chancen für mehr S-Bahn-Fahrten auf der bestehenden Infrastruktur und damit, den verkehrlichen Herausforderungen in der Region Stuttgart zu begegnen. Dazu gehören eine vollständige Langzugbildung in der Hauptverkehrszeit sowie weitere Angebotsverbesserungen, wofür 58 zusätzliche S-Bahn-Fahrzeuge angeschafft werden sollen. Zur Umsetzung ist es erforderlich, den Vertrag mit der DB Regio AG über den Betrieb der S-Bahn anzupassen und um vier Jahre bis Juni 2032 zu verlängern. In diesen Punkten waren sich alle Fraktionen einig. Den Beschluss darüber fällt die Regionalversammlung am 30. Januar.

Der regionale Verkehrsdirektor Dr. Jürgen Wurmthaler, führte aus: „Mit ETCS eröffnen sich neue Perspektiven. Denn wir brauchen eine Antwort auf eine eigentlich sehr positive Situation: Die Fahrgastzahlen bei der S-Bahn haben bereits 2017 mit werktäglich 420.000 Fahrgästen alle Prognosen übertroffen.“ Mehr Fahrgäste heißt auch mehr Zeit für Ein- und Ausstiege und ein über Jahre stetig gewachsenes ÖPNV-Angebot führt zu einer dichteren Zugbelegung, insbesondere auf der Stammstrecke. Das führt schon heute immer wieder zu Verspätungen, die sich oft auf das gesamte System übertragen. Dr. Wurmthaler weiter: „Mit der VVS-Tarifzonenreform, den Fahrverboten zur Luftreinhaltung und der Förderung von P+R-Plätze entlang der S-Bahn erwarten wir noch mehr Fahrgäste. Daher sind höhere Kapazitäten bei der S-Bahn vonnöten.“ Diese sollen zur Entlastung beitragen und neue Fahrgäste auch in den Hauptverkehrszeiten aufnehmen können.

ETCS/ATO für mehr Zuverlässigkeit und Kapazitäten

Um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen und den Betriebsablauf zu stabilisieren, wurden verschiedene Möglichkeiten untersucht: Der Bau einer zweiten Stammstrecke ist nicht realistisch und auch die Nachrüstung von Außenbahnsteigen für einen beschleunigten Fahrgastwechsel ist nicht möglich. Das ergab eine Studie aus dem Jahr 2017. Dagegen wies die Machbarkeitsstudie zur möglichen Einführung von ETCS, welche von Land, DB Netz und Verband Region Stuttgart beauftragt wurde, nun nach, dass mit dem europaweit standardisierten Zugbeeinflussungssytem (ETCS Level 2) in Kombination mit Digitalen Stellwerken (DSTW) und einem teilautomatisierten Fahren (Automatic Train Operation Grade of Automation 2, ATO GoA 2) spürbare Kapazitätsreserven im Kernnetz der Region Stuttgart geschaffen werden können. Bei diesem teilautomatisierten Fahren werden Brems- und Beschleunigungsvorgänge automatisiert, der Triebfahrzeugführer ist aber nach wie vor an Bord und kann bei Bedarf jederzeit eingreifen. Die neue Technik ermöglicht eine kürzere Zugfolge, was vor allem auf der Stammstrecke und deren Zuläufe für Entlastung sorgen kann. Mit Leistungssteigerungen um rund 20 Prozent birgt sie aber auch Chancen auf zusätzliche Fahrten auf der bestehenden Infrastruktur. Bei entsprechendem Ausbau der Zulaufstrecken könnten mit der neuen Technik zukünftig auf der Stammstrecke sogar noch mehr Züge verkehren.

Da im Zuge der Arbeiten zu S 21 im Rahmen der Verlängerung der S-Bahn Stammstrecke bis zur Mittnachtstraße ohnehin eine Erneuerung der Leit- und Sicherungstechnik ansteht, ergibt sich nun durch die auf 2025 verschobene Inbetriebnahme die einmalige Chance, den Zulauf von Bad Cannstatt und Nordbahnhof zur Mittnachtstraße und weiter in die Stammstrecke bis zur Schwabstraße auf die neue Leit- und Sicherungstechnologie umzustellen. Im diesem Zuge sollen, wie in der Machbarkeitsstudie empfohlen, auch die Strecken bis Vaihingen und von dort weiter zum Flughafen oder weiter Richtung Böblingen ausgerüstet werden. Bliebe die Entscheidung jetzt aus, würde die herkömmliche Signaltechnik verbaut und die Chance wäre etwa über die nächsten 20 Jahre vertan. Zudem drängt die Zeit, damit die Vorbereitungen und die Erprobung der neuen Signaltechnik bis zur Inbetriebnahme von S21 abgeschlossen sein können. Um die neue Technik nutzen zu können, müssen alle S-Bahn-Züge entsprechend umgerüstet werden. Dazu wird der Einbau von Anzeigegeräten (On-board-units) und Steuerungstechnik in die Fahrzeuge erforderlich.

In Deutschland ist ETCS Level 2 in Kombination mit ATO bisher noch nicht im Nahverkehr eingesetzt worden und hat deshalb auch noch kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Umsetzung ist damit zu wesentlichen Teilen Entwicklungsarbeit, welche dann in einem Team von DB Netz, der S-Bahn als Verkehrsunternehmen und dem Eisenbahnbundesamt geleistet wird.

Mehr S-Bahn-Fahrzeuge für erweitertes Verkehrsangebot

Um die Chancen auf ein deutlich erweitertes Verkehrsangebot mit ETCS/ATO GoA 2 zu realisieren und für mehr Pünktlichkeit im S-Bahn-Verkehr zu sorgen, ist die Bestellung von 58 zusätzlichen S-Bahn-Fahrzeuge des Typs ET 430 erforderlich. Damit können folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

Vollständige Langzugbildung in der Hauptverkehrszeit
Mit einem entsprechenden Ausbau des Tunnels zwischen Schwabstraße und Stuttgart-Vaihingen könnten vier weitere Züge in der Stunde den Gleisabschnitt befahren. Züge der Linie S4, S5 oder S6 könnten dann auch über die Schwabstraße hinaus bis nach Stuttgart-Vaihingen fahren.
Stündlich zwei dieser zusätzlich bis Vaihingen verkehrenden Züge könnten zukünftig sogar bis nach Böblingen fahren.
Auf der S-Bahn-Linie S6 sollen von Weil der Stadt und Feuerbach zusätzlich halbstündlich verkehrende Verstärkerzüge der S-Bahn aufs Gleis gesetzt werden. In Feuerbach sind hierfür noch entsprechende Umbauarbeiten am Bahnsteig bei Gleis 130 und an der Zuführung erforderlich.
Auch auf den Außenlinien der S60, zwischen Plochingen und Kirchheim/Teck (oder alternierend nach Nürtingen) sowie Vaihingen über den Flughafen weiter bis Neuhausen könnte die S-Bahn zukünftig im 15-Minuten-Takts fahren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von rein technischen Cookies zu. Wir verwenden keine Marketing- oder Analyse Cookies. Wir interessieren uns nämlich nicht für dein Surfverhalten. Andere hingegen schon. Deswegen werden iframes, eingebettete Videos und Scripte nicht angezeigt, solange du nicht auf "Akzeptieren" drückst. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen