Manuel Borrgeo übergibt ein Brot an einen Obdachlosen

Gibt es in unserer reichen schwäbischen Welt überhaupt richtigen Hunger unter den Bürgern? Dieser Frage ist ein Reporter nachgegangen und hat Erstaunliches herausfinden müssen.

Von Alexander Kappen

Stuttgart. Vormittags im „Cafe 72“, dem größten Stuttgarter Obdachlosen-Treffpunkt: In der Seitenstraße mitten in Bad Cannstatt herrscht eifriges Treiben. Bis zu hundert Obdachlose kommen hier jeden Tag her, um bis 13 Uhr an eine Mahlzeit zu gelangen. „Ohne unsere Hilfe würden die alle bitterlich hungern“, weiß Café-Mitarbeiter Manuel Borrego, der bei dem sozialen Projekt bereits seit vielen Jahren mit von der Partie ist. Die Bäckerei Sailer aus Cannstatt spendet jeden Tag vom Vortag übriggebliebene Brote und Brötchen, hinzu kommen Salatspenden und (jeden Tag verschieden) weitere Lebensmittel-„Geschenke“.

„Wir bieten das günstigste Mittagessen Stuttgarts an“, sagt Manuel Borrego und lacht. 1,50 Euro kostet das Mahl, das mehrere Gänge umfasst. Trotz des günstigen Preises können viele Obdachlose das aber auch nicht bezahlen. „Die müssen dann bei uns putzen und kehren und können sich so eine Mahlzeit erarbeiten“, beschreibt Borrego das soziale Angebot seines Café 72.

Ein schreckliches Bild: An den vielen Tischen sieht man ausgehungerte Menschen, die das Brot, die Suppen und Salate in sich hinein schlingen. Als ob sie Angst hätten, es wird einem im letzten Moment doch noch weggenommen…

Dass es Hunger in Stuttgart gibt, bestätigt auch Christian Schüll von der gegenüberliegenden regionalen Fachberatungsstelle für Männer über 25, die auch wie das Café 72 von der Ambulanten Hilfe organisiert wird. „Wir haben immer wieder Männer, die bei uns reinkommen und meinen sie bräuchten dringend ein Dach überm Kopf und etwas zu beißen“, sagt Christian Schüll und schüttelt mit dem Kopf. Bevor er seinen Job antrat, konnte er sich nicht vorstellen, dass Armut auch in der schwäbischen Landeshauptstadt ein weit verbreitetes Thema ist.

Auch wenn man über die Königstraße läuft, sieht man sie immer wieder: Die Bettler, die ein Schild vor sich stehen haben „Habe Hunger“. Auf die Frage, ob sie sich fotografieren lassen würden, wehren alle aber entschieden ab. Hunger in Stuttgart ist etwas wofür man sich scheinbar schämen muss. Das Thema gibt es offiziell nicht. Inoffiziell allerdings ist das Thema aber zum Beispiel auch bei Jugendlichen verbreitet.

Das Johannes-Falk-Haus (Träger: eva Stuttgart) in Stuttgart-Nord nimmt obdachlose Jugendliche auf. Ohne deren Hilfe müßten die Betroffenen sicherlich das eine oder mal schmerzhaft hungern.

Der Reporter startete schließlich einen kurzen Selbstversuch und setzte sich für eine halbe Stunde auf die Königstraße, um dort mithilfe eines Pappschildes mit der Aufschrift „Habe Hunger“ finanzielle Unterstützung zu bekommen. Fast alle Leute gingen vorbei und begannen auch schon mal zu lächeln als sie die Aufschrift sehen. Viele Bürger können es sich scheinbar nicht vorstellen, dass es unter ihnen Hungernde gibt. Eine Reaktion, die betroffen macht.

„Food-Sharing“ wird auch in Stuttgart praktiziert. Hierbei werden Lebensmittel von Supermärkten oder Privathaushalten davor gerettet, in die Biotonne zu geraten. In der Schellbergstraße 44 haben zum Beispiel Studenten der Universität Stuttgart eine Lebensmittelbox eingerichtet. Hier können Bäckereien oder Privatleute Nahrungsmittel für Hungernde abgeben. Eine tolle Initiative, die man nur unterstützen kann! Denn Hunger sollte in Stuttgart in Zukunft auch inoffiziell kein Thema sein…

Ein Gedanke zu „Hunger in Stuttgart: Leider bittere Realität“

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